Das grösste Elektrofahrzeug der Welt
Seit April 2019 kann man einen echten Weltrekordler im Steinbruch der Firma Vigier Ciment im Berner Jura bestaunen: den Muldenkipper «Lynx» – zu Deutsch Luchs. Nicht spannend? Oh doch. Denn es ist der Erste seiner Art mit einem reinen Elektroantrieb. Und gleichzeitig ein Musterbeispiel für interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Schweiz.
Auf den umweltfreundlichen eDumper wartet eine Menge Arbeit. Über zehn Jahre lang soll das fortschrittliche Nutzfahrzeug rund 300'000 Tonnen Gestein transportieren und dabei 1300 Tonnen CO₂ einsparen. Eine grosse Arbeit, die pures Hightech verlangt.
Vom Diesel- zum Elektroantrieb
Der eDumper basiert auf dem Diesel-betriebenen Muldenkipper HD 605-7 des Baumaschinenherstellers Komatsu. In einem Jahr wurde dieser von der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Kuhn Schweiz und Lithium Storage GmbH (heute Lithium System GmbH) umgebaut. Planung und Konstruktion lagen bei der ARGE, für Messungen und Berechnungen wurden die Berner Fachhochschule (BFH), die Interstaatliche Hochschule für Technik Buchs (NTB) und die Empa (Eidgenössische Materialprüfungs und Forschungsanstalt) beigezogen.
Reichlich Akkupower
Nach der Entfernung des Dieselmotors, des Kühlers und des Tanks wurde das Fahrgestell mit einem 600 Kilowattstunden grossen und 4.5 Tonnen schweren Akku ausgestattet. Zum Vergleich: Das sind sechs Tesla-Batterien in einem einzigen Fahrzeug. Zusätzlich zum Hauptantrieb verfügt der eDumper noch über einen 200- Kilowatt-Elektromotor, der die Hydropumpen antreibt. Diese werden für die Bremsanlage und zur Betätigung des Kippers sowie für die Servolenkung benötigt. Aber nicht nur beim Akku bietet der eDumper absolute Superlative: Das Drehmoment der Motoren liegt bei eindrücklichen 9500 Newtonmetern, die Leistung bei 980 kW – und jedes seiner Räder ist höher als ein ausgewachsener Mensch.
Grüne Spitzenleistung
Dank Hochleistungs-Lithium-Speichern, die mehrere tausend Male be- und entladen werden können, wird genügend Energie gespeichert, damit eine mit der Dieselversion vergleichbare Transportleistung erbracht werden kann. Das Gewicht spielt dabei eine wesentliche Rolle. Mit jeder Fahrt transportiert der eDumper 65 Tonnen Kalkstein und Mergel – vom Abbaugebiet über eine Strecke mit einem 13-prozentigen Gefälle bis zur tiefergelegenen Verarbeitungsanlage.
Arbeiten und zugleich aufladen
Die Batterien werden mittels Rekuperation der Bremsenergie aufgeladen. Diese Energie nutzt der LKW anschliessend, um wieder nach oben in den Steinbruch zu fahren. Laut Berechnungen sollte das Fahrzeug bei der Abfahrt mehr Strom als nötig produzieren und die überschüssige Energie ins Netz einspeisen. Dies wurde bis heute in der Praxis jedoch noch nicht geschafft. Trotzdem ist der eDumper deutlich effizienter als ein vergleichbarer Diesellastwagen, auch wenn er gelegentlich aufgeladen werden muss. Zum Vergleich: Ein herkömmlicher Muldenkipper verbraucht bis zu 50’000 Liter Diesel und stösst rund 130 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr aus.
Aus einem gelben, lärmigen und rauchenden Ungetüm ist ein umweltfreundlicher, grüner eDumper entstanden. Er fährt sich wie eine gemütliche Limousine. Die einzigen hörbaren Geräusche sind das leise Pfeifen des Antriebs und die Hydraulikpumpen. Kein röhrender Motor, keine schwarzen Abgaswolken. So sauber sieht die Zukunft aus!
Aus der Schweiz für die Welt
Das Institut für Energie- und Mobilitätsforschung der BFH stattete bei Vigier das Diesel-Basismodell mit verschiedenen Sensoren aus. So konnten zahlreiche Messdaten für die ARGE gewonnen werden, um den Elektroantrieb optimal zu dimensionieren. Die ARGE testete und evaluierte die geeigneten Batterieblöcke und Kühlmöglichkeiten in einer speziellen Anlage unter Mithilfe der Berner Fachhochschule (BFH). Die NTB wiederum untersuchte die Erschütterungen des Diesel-Muldenkippers sowie die Wärmeabgabe der Batterieblöcke an einem Modell. So konnten die Langlebigkeit und Robustheit der Technik gewährleistet werden.
Die Empa prüfte schliesslich das Verhalten der verwendeten Li-Ionen-Zellen im Falle einer mechanischen Beschädigung oder eines Kurzschlusses in ihrer Testanlage. Das Akkupaket wurde von der ARGE so konstruiert, dass eine beschädigte Zelle keine Nachbarzelle beeinträchtigen kann. Nur so konnte die Brandsicherheit eines derart grossen Batterieblocks gewährleistet werden. Aber nicht nur die Konzeption des eDumper erfolgte in der Schweiz. Die verbauten Komponenten stammen zum Teil von schweizerischen Unternehmen und sind meist Spezialanfertigungen auf Basis industrieller Produkte der neuesten Generation. Das Projekt wurde durch das Bundesamt für Energie gefördert.
Dreimal Weltrekord
Der eDumper ist weltweit das grösste und stärkste batteriebetriebene Elektro-Radfahrzeug. Es verfügt ausserdem über die grösste je für ein Elektrofahrzeug hergestellte Batterie, die mit 4.5 Tonnen ungefähr so schwer ist wie zwei PKW. Zudem konnte ein vergleichbares Fahrzeug noch nie eine so grosse Menge CO₂ einsparen. Wenn das also keine geballte Ladung grüner Weltklasse ist.